Im Gespräch mit

Cecilia Chung

Gemeinschaft
Mai 2022

Pride Cecila BlogPride Cecila Blog

Pronomen: Sie/Ihr

Aktivismus bedeutet nicht nur, einen Protestmarsch anzuführen. Dazu gehört auch das Low-Fi-Video, das dafür sorgt, dass du dich weniger einsam fühlst. Dazu gehört auch, die Community mit sozialer Arbeit zu unterstützen. Dazu gehört auch, dass du deine Geschichte teilst. Aktivismus sieht auch aus wie du, wenn du jeden Tag die Entscheidung triffst, dich in einer Welt, die Anpassung einfordert, anzuziehen, wie es dir gefällt. Diese Pride-Saison feiern wir die Aktivist*innen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft, die sich für queere Freiheit und Gleichberechtigung einsetzen. Und ganz vorn mit dabei ist die lebende Legende Cecilia Chung.


Trans* Frau. Tochter. Eine Mutter für viele in der Community. Eingewandert aus Hong Kong. Mit HIV lebende Person. Ehemalige Vorsitzende der Menschenrechtskommission. Gesundheitsbeauftragte der Gesundheitsbehörde von San Francisco. Leitende Direktorin für Strategic Initiatives and Evaluation am Transgender Law Center. Im Laufe der Jahrzehnte war Cecilia so einiges, und sie war dabei immer eine Heldin, die sich für die Rechte von LGBTQ+, HIV/AIDS-Bewusstsein, Gesundheit und soziale Gerechtigkeit eingesetzt hat.

Lass uns ganz vorn beginnen.

Ich kam 1984 hierher. Geboren und aufgewachsen bin ich in Hong Kong, das bis 1997 britische Kolonie war. Also wurde ich in den Kolonialismus geboren und geprägt von dem Gedanken, dass wir Bürger*innen zweiter Klasse und Untergebene eines anderen Landes waren. Diese Prägung hat meine Sicht der Dinge auch danach noch beeinflusst. Jetzt erkenne ich, wie sehr es mich davon abgehalten hat, ein authentisches Leben zu führen.

Vor der Kolonialisierung und den Missionar*innen waren trans* Menschen immer Teil der chinesischen Kultur und Geschichte. Nur weil etwas anders als die Mehrheit ist, sollte es nicht als Falsch betrachtet werden. Ich glaube, diese Art der Haltung haben wir oft unter einer kolonialistischen Regierung. Viele asiatische Praktiken wurden als Falsch angesehen, so dass es schwierig war, die Unterschiede in Einklang zu bringen. Während meines Erwachsenwerdens lernte ich leider nicht, was White Supremacy war — und heute noch ist. Ich brauchte ein bisschen, um während meines Aufwachsens im kolonialen Hong Kong zu verstehen, dass viele Meinungen über trans* Personen eine Form von White Supremacy waren. Ich wuchs damit auf, mich zu hassen, bis ich entdeckt habe, dass ich Widerstand leisten, mich wehren und politische Entscheidungsträger über das trans* Sein, das Leben mit HIV und als Migrantin aufklären konnte.



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Was war der Auslöser für dich, Aktivistin zu werden?

Während meiner Transition erlebte ich Obdachlosigkeit und Gewalt. Ich hoffe, dass niemandem das passiert, was mir passiert ist. Es ist mein Antrieb für all meine Arbeit, einschließlich der Organisation vom Trans March und der Mitgliedschaft im Presidential Advisory Council on HIV and AIDS. Ich möchte einen Raum schaffen, in dem Menschen wie ich eine Stimme haben. In den letzten zehn, wenn nicht sogar 20 Jahren, war mein Ziel immer, einen Raum einzunehmen und so lange zu behalten, bis jemand anders ihn übernimmt, damit ich mich auf die Suche nach dem nächsten Raum machen kann, um wieder das Gleiche zu tun.


Ich habe das, was ich gemacht habe, nie als Aktivismus gesehen, ich dachte, ich erzähle einfach meine Geschichte. Und ich habe anfangs auch nicht damit gerechnet, dass ich am Ende diese Arbeit machen würde. Ich hielt für meine Bestimmung, Beratungen im Bereich Drogenmissbrauch, HIV Tests und Fallmanagement anzubieten. Durch die Arbeit mit meinen Klient*innen, die mit Obdachlosigkeit, Drogenmissbrauch, körperlichen oder psychischen Problemen zu tun hatten, verstand ich, wie beschränkt unsere Möglichkeiten zu helfen sind. Einmal begann ein Klient im Alkohol-Entzug zu zittern und das eintreffende Notfallpersonal flüsterte: „Das hast du davon, dass du Alkoholiker bist.“ Ich bin ausgerastet. Ihr Job sollte es sein, Leben zu retten, nicht darüber zu urteilen, ob dieses Leben es wert ist, gerettet zu werden. Da habe ich verstanden, dass ich mehr tun muss, als nur Dienstleistungen anzubieten. Wenn du das System ändern willst, musst du es stören. So spürte ich die Berufung, sichbarer, lauter und letzten Endes Fürsprecherin zu werden.

Gibt es Leader*innen oder Mentor*innen, die dir den Weg geebnet haben?

Eine ist Tamara Ching, eine hawaiianisch-chinesische trans* Frau, die schon lange in San Francisco ist. Ich habe sie bereits vor meiner Transition getroffen. Sie war die erste chinesische trans* Frau, die ich gesehen habe. Wir entwickelten eine sehr enge Freundschaft und ich sage Mutter zu ihr. Die andere ist Camille Moran, eine ältere trans* Frau, die eine Konversationstherapie und viele Misshandlungen im psychiatrischen Gesundheitssystem erlebt hat. Sie ist eine entschlossene Kämpferin für die LGBTQ+ Jugend, insbesondere für die, die die Psychiatrie überlebt haben. Vor diesen beiden Älteren habe ich großen Respekt. Sie machen diese Arbeit, weil sie daran glauben, dass wir alle etwas Besseres verdient haben.

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Wer sind die Vorfahren und Aktivist*innen, deren Arbeit du weiterführen möchtest?

Eine Vorfahrin, die mir einfällt, ist die chinesische und indische Gottheit Quan Yin. Der volkstümlichen Geschichte nach, die ich als Kind hörte, wurde Quan Yin als Frau geboren und immer und immer wiedergeboren, bevor sie zu ihrer wahren Gestalt als Göttin zurückkehrte. Als Kind dachte ich, dass mir das vielleicht auch passieren könnte. Diese Geschichte hat mich über all die Jahre nicht losgelassen. In gewisser Weise scheint sie ziemlich passend zu sein. Quan Yin ist die Beobachterin der Trauer der Welt, die Göttin des Mitgefühls, und ich denke, Mitgefühl ist meine Lebensaufgabe.

Du warst in den letzten 30 Jahren Zeugin so vieler Gesetzesentwürfe und historischer Momente in der Pride-Bewegung. Wie hat sich die Haltung der Gesellschaft bezüglich der LGBTQ+ Community in dieser Zeit entwickelt?

Wir nehmen an Fahrt auf. Inzwischen sind mehr Menschen auf unserer Seite, aber es gibt immer noch viel Gegenwind. Zum Beispiel versuchen mehr konservative Gesetzgeber, neue Gesetze zu erlassen, die Menschen unterdrücken — von Abtreibungsrechten über Gesundheitsversorgung für trans* Menschen bis zur Teilnahme von trans* Athlet*innen am Sport. Es wird noch ein bisschen dauern, bis wir den Wendepunkt erkennen, an dem sich das ganze Land verändert, aber ich hege große Hoffnung, weil die nachfolgenden Generationen einen anderen Blick auf Geschlechter und deren Ausdruck haben. Die Leute heutzutage, besonders die Kinder, sind kreativer und fluid in ihrer Identifikation und können in ihr wahres Selbst hineinwachsen. Es geht hier überhaupt nicht ums trans* Sein, es geht um Menschen, die Grenzen überwinden, damit sie sich voll entwickeln können, wie sie sind, ohne Verurteilung oder Gewalt.

So vieles heutzutage übertrifft vielleicht die kühnsten Erwartungen oder die wildesten Träume unseren queeren Vorkämpfer*innen. Was sind deine größten Träume für die LGBTQ+ Freiheit?

Viele meiner Träume sind bereits Wirklichkeit. Zu sehen, wie trans* Frauen, besonders Schwarze trans* Frauen Mainstream werden und in der Film- und Literaturwelt gefeiert werden, ist großartig. Vor 30 Jahren hätte ich nicht davon zu träumen gewagt, dass eine so große non-binäre Community heranwächst und für sich eintritt. Mein wildester Traum wäre, glaube ich, eine trans* Women of Color als Präsidentin.

Große Träume — wir würden lieben, sie Wirklichkeit werden zu sehen!

Wir können nur größer bauen, wenn wir auch größere Ziele haben. Alle Entwicklungen bis jetzt haben unseren trans* und non-binären Kindern so viele Möglichkeiten bereitet. Sie können Autor*innen und Superstars sein. Und das ist wunderbar! Also lasst uns noch einen Schritt weitergehen und die Hindernisse angucken, die es noch gibt. Verbesserungen kommen immer näher, aber es ist immer noch viel Arbeit, um Frauen, People of Color und LGBTQ+ von gesellschaftlichen Stigma zu befreien.

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Wie würdest du deinen persönlichen Stil und deine Beziehung zur Mode definieren?

In meinem früheren Leben, vor meiner Transition, habe ich mich darauf verlassen, dass die Mode mich definiert. Weil ich so unsicher war, trug ich viel High Fashion, dunkle Farben und dekonstruierte Looks. Nach meiner Transition ging es für mich weniger darum, wie ich aussehe, sondern mehr darum, wie ich mich fühle. Ich trage jetzt viel mehr Farben, weil ich mehr Freude erfahre. Ich sehe die Welt anders, also soll die Welt mich auch anders sehen.

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In deiner früheren Arbeit ging es viel um Ressourcen. Warum ist dieses Thema so wichtig?

Das Sozialsystem mag mit den besten Absichten eingerichtet worden sein, aber das damit verbundene Stigma sorgt dafür, dass das Bitten um Hilfe oft der letzte Ausweg ist. Wir müssen Wege finden, um dieses Gedankenmuster zu ändern. Noch immer gibt es schlechte Gesundheitsergebnisse bei Schwarzen, Latinx und migrantischen Communities, und das ist das Ergebnis von Gesetzen, die Menschen entmutigen, sich die Hilfe zu suchen, die sie benötigen und verdienen. Alle geraten in Notlagen. COVID-19 hat uns gezeigt, dass es schwer ist, Arbeit zu finden und das Wohlfahrts- und Sozialversicherungssystem sollte nicht stigmatisiert sein. Ich glaube, dass die Pandemie uns tatsächlich die Möglichkeit gegeben hat, Mitgefühl zwischen verschiedenen Communities aufzubauen und zu fördern.

Wir würden gern mehr über deine Arbeit erfahren.

Während meine Arbeit sich verändert, bleibt mein Anspruch immer derselbe: die Sichtbarkeit von trans* und non-binären Communities zu erhöhen — besonders, wenn es um Datenerhebung geht. Trans* Menschen werden immer noch nicht im Zensus mitgezählt. Sie werden häufig in Gesundheitsstatistiken ausgelassen, so dass wir gar nicht wissen, wie groß die Bevölkerung wirklich ist. Der Zensus wird dazu benutzt, Bezirksgrenzen neu zu ziehen. Er wird auch bei der Umverteilung von Ressourcen an die Community mit dem höchsten Bedarf herangezogen. Die Bedürfnisse der trans* Community wurden schon immer ausgeklammert.


Ich fühle mich sehr geehrt, dass ich in Organisationen arbeite, die Unterschiede feiern und versuchen, mit gutem Beispiel voranzugehen. Mit unserer Arbeit am Transgender Law Center, erstreiten und entwickeln wir Strategien, die es unserer Community erlauben, zu überleben und stärker zu werden. Dazu gehört auch die Frage, wie wir die Menschen organisieren. Eine Sache, für die wir uns einsetzen, ist, dass niemand seine Geschichte, insbesondere, wenn sie Trauma beinhaltet, ohne eine Entschädigung erzählt. Lange fanden Leute, dass du dich geehrt fühlen solltest, wenn du auf ein Panel eingeladen wirst. Dabei ist die Wahrheit, dass ein Mensch jedes Mal, wenn er seine Geschichte erzählt, das Trauma erneut erlebt. Wenn du also Leute fragst, ob sie ihre Erinnerungen mental und emotional wiederholen können, sollte das kompensiert werden. Die Idee, dass nur die mit höheren Abschlüssen für ihre Zeit entschädigt werden sollten, stelle ich täglich in Frage.

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Du hast über die Jahre so viel erreicht. Was sind die Meilensteine und Projekte, auf die du besonders stolz bist?

Besonders stolz bin ich auf meinen Beitrag dazu, dass San Francisco als erste Stadt ihren Angestellten eine Krankenversicherung und Gesundheitsservices im Rahmen der Transition anbietet. In meiner Zeit in der Menschenrechtskommission konnte ich an Gesprächen über das Angebot und die Ausweitung Transitions-bezogener Leistungen, inklusive Operationen, für unversicherte Bürger*innen teilnehmen. Das war eine der ersten Resolutionen, für die ich mich in der Gesundheitskommission von San Francisco einsetzen konnte. Heute bieten wir eine breite Palette von gender-bestätigenden Dienstleistungen an, die die Lebensqualität von trans* Menschen verbessern und ihnen helfen, sich sicherer zu fühlen. Es liegt noch viel Arbeit vor uns, bis die ganze Welt trans Menschen akzeptiert und unsere Kultur annimmt.


Andere Meilensteile sind die Organisation des Trans March, der heute ein weltweites Event ist, und die Veröffentlichung des Berichts über die wirtschaftliche Gesundheit von trans* Menschen in San Francisco. Das führte zur Entwicklung eines Personalentwicklungsprogramms speziell für trans* und non-binäre Menschen, das noch immer fortgeführt wird. Darüber hinaus bin ich stolz darauf, mehr Schwarze und trans* Menschen in Führungspositionen gefördert zu haben.


Ich glaube daran, dass Verhalten Wellen schlägt. Wenn nur eine Person sich für Veränderungen einsetzt, wird sie auf kleinem Raum stattfinden. Und wenn mehr Menschen beginnen, für den Wandel zu kämpfen, werden mehr Räume die Veränderungen spüren.

Was motiviert dich, weiter zu machen?

Was mich wirklich motiviert, sind Erfolgsgeschichten, und zu sehen, wie trans* Frauen, deren Mentorin ich war, selbst Leaderinnen werden. Eine meiner Töchter ist jetzt Krankenschwester. Eine andere ist Psychotherapeutin. Das sind alles Dinge, die ich mir vor 30 Jahren nicht hätte vorstellen können. Diesen Wachstum in ihnen zu sehen erfüllt und inspiriert mich. Das ist es, was mich weitermachen lässt.

Welches Vermächtnis möchtest du hinterlassen?

Ich weiss nicht, ob ich das in einem irgendwie inspirierenden Narrativ zusammenfassen kann. Eigentlich möchte ich nur mit anderen teilen, wie wir in dieser Welt leben und dankbar dafür sein können und wie wir eine bessere Welt für die Generationen nach uns schaffen können. Mein Vermächtnis wäre dann wohl, mit Mitgefühl zu leben, mich mit den am stärksten Ausgegrenzten zu solidarisieren und sie als Partner*innen anstatt als Menschen, die mich für ihre Rettung brauchen, zu sehen.

Welchen Rat würdest du trans* Kindern und ihren Familien geben?

An trans* und non-binäre Kinder: Ihr seid wundervoll. Eure Kreativität rund um den Ausdruck Eurer Geschlechter und Eure Identitäten zeigt, dass die Zukunft noch bunter sein wird. An die, die keinen Kontakt zu ihren Familien haben: Vielleicht braucht es eine lange Zeit, bis sie damit klarkommen, aber gib die Hoffnung nicht auf. Es ist mir passiert, also kann es auch dir passieren.

An ihre Familien: Es ist nichts falsch daran, Eure Kinder so zu lieben, wie sie sind. Sie verlassen sich darauf, dass ihre Familie unerbittlich für sie, ihr Überleben und ihre Zukunft kämpft. Ganz gleich, was andere Leute sagen, ihr wisst tief in euch, was richtig ist. An die Eltern, die ihre Kinder unterstützen und entscheiden lassen, wie sie sich der Welt zeigen wollen: Danke. Die Welt ist so viel besser und heller, wenn ihr mit Mitgefühl, Freundlichkeit und bedingungsloser Liebe lebt.


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Noch ein paar weise Worte zum Abschluss?

Es hat sich so viel verändert. Wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir, bevor wir die nächsten Forderungen stellen, nicht zwischendurch innehalten und feiern.


Dieses Interview wurde aus Gründen der Länge und Klarheit bearbeitet.