In dieser Interview-Reihe stellen wir dir die Menschen vor, die uns am meisten inspirieren: KünstlerInnen, LehrerInnen, AktivistInnen, GemeindevertreterInnen und die SuperheldInnen des Alltags, die uns in Atem halten. Wir stellen dir ihr Alltagsleben, ihre Wohnungen und ihre Arbeitsplätze vor. Wir reden über Motivation und Inspiration und natürlich über alles, was mit Stil zu tun hat.
Das Letzte, als was du Mayukh Sen bezeichnen würdest? Ein Essens-Snob. Was irgendwie lustig ist, denn zu den anderen Bezeichnungen unserer monatlichen Muse im August gehören: 29-jähriger Professor für kulinarische Literatur an der New York University, mit dem James Beard Award ausgezeichneter Essayist und Autor des demnächst erscheinenden Buches Taste Makers: Sieben Migrantinnen, die das Essen in Amerika revolutionierten. Doch wie Mayukh erklärt, sind kulinarische Fähigkeiten und ein besonders feiner Gaumen keine Voraussetzung, um Essen als kreative Beschäftigung zu schätzen. In einem Video-Call aus seiner Wohnung in Brooklyn spricht der sich selbst als „queeres, braunes Kind von Einwanderern“ bezeichnende Mann über die „zufällige“ Entwicklung zum Food-Autor, seine Arbeit für marginalisierte Gemeinschaften und seine erstaunlich beeindruckende Kochbuchsammlung. Lies weiter, um aus seinem Mund mehr über Mayukh zu erfahren.
Wir müssen zuerst über Essen reden, oder? Was ist deine Lieblingsküche?
Wahrscheinlich äthiopisch. Die Aromen sind einfach perfekt. Meine Eltern sind Einwanderer aus Westbengalen, daher erinnert es ein wenig an die bengalische Küche, mit der ich aufgewachsen bin, schafft aber ein Gleichgewicht zwischen Vertrautheit und Neuartigkeit. Es ist auch die Art von Küche, die ich mir nicht vorstellen kann, selbst zu kochen. Ich koche eigentlich nicht so viel!
Waaas?
Ja, ich esse immer nur Reis oder Nudeln mit einer Portion Protein und ausreichend Gemüse in einer Art Soße – wahrscheinlich Soja-Ingwer- oder grüne Thai-Curry Soße. Ich fühle mich nicht besonders wohl, wenn ich koche. Für mich ist das Arbeit. Und ehrlich gesagt habe ich kein Problem damit. Ich denke nicht, dass das im Widerspruch zu meinem Beruf steht, auch wenn viele Leute das vielleicht denken.
Ha! Wie wird man „zufällig“ zum Food-Autor?
Ich bin mit dem Wunsch aufgewachsen, Filmkritiker zu werden. Als Kind habe ich regelmäßig die Zeitschrift Entertainment Weekly gelesen und konnte die Namen aller für den Oscar nominierten Schauspielerinnen seit 1960 aufzählen. Ich habe in Stanford Geschichte und Kommunikationswissenschaften studiert und bin 2014 aus familiären Gründen direkt nach meinem Abschluss nach New York gezogen. Mein Plan war, einen Master in Filmwissenschaften an der NYU Tisch zu machen, aber weil zu Hause so viel los war, habe ich am Ende nicht an dem Kurs teilgenommen. Stattdessen habe ich angefangen, freiberuflich über Film, Fernsehen und Musik zu schreiben – im Grunde über jeden Aspekt der Kultur, außer über Essen. Im Sommer 2016 hat mich ein Redakteur von Food 52 kontaktiert. Sie suchten einen Redakteur, der kein „Essensmensch“ war. Jemand, der sich nicht unbedingt für das Kochen interessiert, sondern über Lebensmittel so schreiben kann, dass eine Verbindung zur Kultur im Allgemeinen entsteht. Als ich diese E-Mail sah, dachte ich erst: „Das ist ja zum Totlachen“.
Weil du nie Food-Autor werden wolltest?
Ich habe Food-Autor als einen Beruf gesehen, der für mich völlig uninteressant war, weil er so rassistisch und klassenorientiert war, dass er mich ausschließen würde. Wenn ich an Food-Autoren dachte, dachte ich an spießige weiße Typen in Anzügen. Aber ich war 24 und wollte unbedingt einen Vollzeitjob als Kulturjournalist, und als ich das Angebot erhielt, habe ich es angenommen. Außerdem wollte ich unbedingt das Vertrauen eines Redakteurs gewinnen, der mir erlauben würde, tiefer gehende Geschichten zu schreiben, die auf Berichten basieren und nicht auf Meinungsäußerungen. Reportagen waren meine Art, meine eigene ... nennen wir es „fundierte Unwissenheit“ zu berichtigen ... denn mein Wissen über Essen, als ich in diese Branche kam, war gleich null.
Du hast nichts über die Welt des Essens gewusst, als du damit angefangen hast?
Ich wusste, wer Julia Child war. Ich hatte schon mal von James Beard gehört. Die Berichterstattung über die beiden war mein öffentlicher Crashkurs in kulinarischer Bildung. Wie ich bereits erwähnt habe, gibt es in unserer Branche die Vorstellung, dass man gerne kocht oder in Restaurants geht, um seinen Lebensunterhalt damit bestreiten zu können. Ich so: „Nun, auf mich trifft nichts von beidem zu, also ...“ Die Sache ist die: Es gibt andere Möglichkeiten, Geschichten über Essen zu erzählen. Das ist es, was diese ganze Welt des Essens für ein breiteres Publikum zugänglich machen wird.Ich habe erkannt, dass es ein echter Vorteil ist, in diese Branche einzusteigen, ohne irgendetwas zu wissen, denn ein Problem, das mir aufgefallen ist, besteht darin, dass es umso einfacher wird, eine ganz bestimmte Art von Lesern anzusprechen – jemanden, der sich auskennt – je mehr Zeit man in dieser Branche verbringt, und infolgedessen wird das Schreiben über Essen von der allgemeinen Kultur abgekoppelt und man schränkt sein Publikum wirklich ein. Sich Geschichten aus einem Blickwinkel zu nähern, der sowohl sensibel als auch irgendwie dumm ist, ha, ist für den Durchschnittsleser tatsächlich sehr hilfreich.
Wie wählst du aus, worüber und über wen du schreibst?
Während meiner ersten Monate in den Food-Medien habe ich mich sehr allein gefühlt, weil alle um mich herum, zumindest die Leute, die in der Öffentlichkeit standen, weiß waren. Ich war die einzige Person of Color in einem 10-köpfigen Redaktionsteam – alles Menschen, die ich sehr liebe – aber ich stach in diesem Umfeld wirklich heraus. Ich habe aus einem anderen Blickwinkel heraus geschrieben – nicht nur als jemand, der in einem Vorort von Jersey geboren und aufgewachsen ist, sondern auch als ein queeres, braunes Kind von Einwanderern. Manchmal war es schwer, eine Beziehung herzustellen oder das Gefühl zu haben, dazuzugehören, und ich musste mich auch mit einer Leserschaft auseinandersetzen, die ziemlich böse zu mir sein konnte, weil sie dieses unbekannte Gesicht und diesen Namen auf ihrer geliebten Kochseite sahen. Es gibt so viele Ungerechtigkeiten in den Medien und der Essensbranche – vor allem in Bezug auf Rasse und Klasse. Ich habe definitiv einen Vorgeschmack darauf bekommen. Das Wortspiel war jetzt nicht beabsichtigt. Schon früh in meiner Karriere als Food-Autor habe ich meinen Blick auf Persönlichkeiten aus der Welt des Essens gerichtet, die ebenfalls aus marginalisierten Communities stammen. Es waren People of Color, Frauen, queere Menschen, ImmigrantInnen ... manchmal Menschen, die unter all diese Begriffe fallen. Die Beschäftigung mit ihren Geschichten hat mir geholfen, meinen eigenen Platz in dieser Branche zu finden, die leider immer noch ziemlich rassistisch und diskriminierend ist. Es ist nicht leicht, dort gesehen zu werden. Mit meiner Arbeit möchte ich die Art und Weise beeinflussen, wie die Öffentlichkeit über Essen denkt und spricht.
Und wie soll die breite Öffentlichkeit über Essen denken und sprechen?
In meinen fünf Jahren als Food-Autor habe gelernt, Essen als eine Form des kreativen Ausdrucks zu verstehen, die es einem Menschen ermöglicht, seine Identität auszudrücken. Viele Menschen betrachten das Kochen als eine unpolitische, unkritische Tätigkeit. Jeder kocht. Jeder isst. Es gibt diesen abgedroschenen Spruch „Essen bringt Menschen zusammen“, und das mag stimmen, aber ich möchte, dass die Leute verstehen, dass Essen auch ein Mittel für politischen Ausdruck oder sogar Widerstand sein kann.
Kannst du diese Idee von „Essen als politischer Ausdruck oder Widerstand“ ein wenig näher erläutern?
Eine meiner Hauptmotivationen, mein Buch zu schreiben, ist, dass ich mit der Vorstellung aufräumen möchte, dass „Erfolg“ für Einwanderer und Einwanderinnen in diesem Land, insbesondere in kulinarischer Hinsicht, mit Integration gleichzusetzen ist. Ich habe von Kollegen in meiner Branche gehört, dass sie das Essen ihrer Leute als „amerikanisches Essen“ verstanden wissen wollen. Und obwohl ich diesen Gedanken nachvollziehen kann, teile ich ihn nicht unbedingt. Ich finde, dass diese Art der Positionierung die weiße Vorherrschaft in dem Sinne verstärkt, dass man so sehr darauf bedacht ist, weiße Konsumenten zu bedienen und zufrieden zu stellen und ihre Anerkennung zu gewinnen. Meine Frage ist: Warum ist das überhaupt wichtig? Wenn ich von meiner eigenen Identität spreche, warum ist es wichtig, dass das bengalische Essen als amerikanisches Essen angesehen wird? Muss das denn sein? Was soll das überhaupt bedeuten? Viele der Frauen, über die ich in meinem Buch geschrieben habe, wehrten sich sehr stark gegen diese Idee. Sie haben gesagt: Nein, mein Essen ist nicht amerikanisch. Es ist jamaikanisch. Es ist iranisch. Sie wollten ihre Identität durch ihre Küche bewahren. Eine der Frauen, über die ich geschrieben habe, kam zu einer Zeit nach Amerika, als Menschen aus ihrem Herkunftsland in der amerikanischen Kultur verachtet wurden. Ihr ganzes Projekt bestand darin, die Menschlichkeit ihres Volkes durch ihre Küche zum Ausdruck zu bringen, und das ist ihr wirklich gelungen.
Ich möchte wirklich mit der Vorstellung aufräumen, dass 'Erfolg' für Einwanderer und Einwanderinnen in diesem Land mit Integration gleichzusetzen ist.
Ah, perfekte Überleitung. Erzähle uns mehr über dein neues Buch.
Es ist eine Gruppenbiografie von sieben verschiedenen Immigrantinnen, die Köchinnen, Food-Autorinnen und Kochlehrerinnen waren – einige von ihnen waren alles drei. Als sie nach Amerika kamen, feierten diese Frauen durch ihre Kochkunst, wer sie waren und woher sie kamen. Auf diese Weise konnten sie stolz auf ihre Identität sein, aber viele sahen sich auch mit Diskriminierung und dem Druck konfrontiert, ihr Essen einem „amerikanischen“ Publikum schmackhaft zu machen, was in Wirklichkeit ein „weißes und wohlhabendes“ Publikum bedeutet. Einige haben wirklich versucht, das Food Establishment zu beschwichtigen und nach seinen Regeln zu spielen und dann die Regeln in gewisser Weise zu ändern. Andere haben erkannt: „Ich kann in dieser Branche nicht wirklich ‚erfolgreich' sein, weil ich nicht so aussehe wie die anderen. Ich habe keine materiellen Vorteile, die es mir leicht machen, also werde ich einfach unabhängig mein eigenes Ding machen.“ Ich finde beide Wege erstrebenswert, aber ich bin mehr an letzterem interessiert.
Was ist das Wichtigste, das die Leute von Taste Makers lernen können?
Es gibt diese Vorstellung von Amerika als einem glorreichen kulinarischen Schmelztiegel, wo man in einer Straße Tacos und in der nächsten Pakora bekommt. Mein Buch erzählt diese Geschichte bis zu einem gewissen Grad, aber ich möchte das Verständnis der Menschen darüber, wie es dazu kam, verändern. Ich möchte zeigen, dass Einwanderer und Einwanderinnen, die sich abmühen, um ein vermeintliches „Wir“ zu ernähren – wobei „Wir“ in Wirklichkeit „der wohlhabende weiße Konsument“ ist – in einer Branche, die sich gegen sie richtet, vor enorme Herausforderungen gestellt werden. Diese Vorstellung von „Einwanderer und Einwanderinnen ernähren ‚uns'“ und „Einwanderer und Einwanderinnen erledigen die Arbeit“ – da fragt man sich, um wen geht es hier eigentlich? Ich möchte den verbraucherorientierten Blick der Food-Medien auf die Menschen lenken, die die Arbeit machen. Die Machtverhältnisse in den Food-Medien sind starr. Und das muss sich ändern.
Es ist vielleicht etwas weit hergeholt, aber hat deine Beziehung zu Kleidung irgendetwas mit deiner Beziehung zum Schreiben über Essen zu tun?
Definitiv. Ich möchte mit meiner Kleidung nicht zu viel Aufmerksamkeit auf mich lenken, und das Gleiche gilt für mich, wenn ich schreibe. Ich versuche nie zu sagen: „Also, das ist, was ich denke!“ denn das ist nicht wichtig. Es geht darum, die Geschichte einer Person ehrlich und wahrheitsgetreu zu erzählen. Ich versuche, so selbstlos wie möglich zu schreiben und meine eigene Präsenz und Perspektive auszublenden, damit nur meine Erzählung rüberkommt. Als ich 2018 dieses Buch geschrieben und den James Beard Award gewonnen habe, habe ich mich wie eine sehr öffentliche Person gefühlt, auf eine Weise, die, wie ich jetzt weiß, ziemlich unangenehm für mich war. Diese Erkenntnis hat sich in der Entwicklung meines persönlichen Stils niedergeschlagen: Früher habe ich helle, auffällige Muster getragen, und jetzt fühle ich mich in solchen Outfits selbstbewusst und wohl – so als könnte ich mich in der Welt von meiner besten Seite zeigen.
Wie würdest du deinen persönlichen Stil beschreiben?
Das klingt jetzt vielleicht etwas klischeehaft, aber mein Ziel ist es, „sichtbar unsichtbar“ zu sein, wenn ich meine Wohnung verlasse. Meine Uniform ist ein graues, schwarzes oder weißes T-Shirt oder Sweatshirt mit Straight Jeans, und wenn man meinen Schuhschrank öffnet, sieht man nur einen Berg von weißen Sneakers. Ich bin kein Freund von Shorts, also bleibe ich auch im Sommer bei meiner 501® '93 Jeans, die immer noch super, super bequem ist – sehr atmungsaktiv und nicht zu warm. Manchmal spiele ich verrückt und trage Navy, Oliv oder Beige! Aber insgesamt kleide ich mich sehr unauffällig und dezent.
Eine letzte Frage: Wir haben dein Bücherregal voller Kochbücher gesehen, auch wenn wir herausgefunden haben, dass du nicht viel Zeit in der Küche verbringst. Sammelst du sie einfach gerne?
Ja! Ich habe so viele Kochbücher. Aus wie vielen habe ich schon gekocht? Das sage ich lieber nicht. Wie viele habe ich gelesen? Alle. Ich liebe die Vorstellung, dass Kochbücher ein Fenster in die Gedankenwelt eines Menschen sein können. Viele KochbuchautorInnen nutzen sie, um der Welt mitzuteilen, wer sie sind, woher sie kommen und wie sie sich ausdrücken. Es macht Spaß, ihre Worte zu lesen und sich vorzustellen, was ich wohl kreieren würde, um all diese Seiten zu füllen, wenn ich wirklich ein guter Koch wäre. Es ist schön, ein bisschen zu träumen. Ich hasse es, wenn ich immer sage: „Essen ist eine ernste Sache“. Essen kann auch Spaß machen, und ich glaube, das ist gar nicht so schlecht.
Photo Credit: Daniel Dorsa
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